Freitag, 25. Februar 2011

Polen ist dem Genitiv sein rettendes Exil - Aber ansonsten ist es grammatikalisch der Tod eines Jeden

Bastian Sick sollte nach Polen übersiedeln. Ganz im Ernst. In Polen ist die Welt noch in Ordnung.-Das trifft definitiv für den Genitiv und Genitivliebhaber zu.
Der Genitiv ist der am häufigsten verwendete Fall in Polen. Und in der polnischen Sprache finden sich sieben Fälle, er kann sich also was drauf einbilden, der Genitiv. Demnach das reinste Paradies für Herrn Sick. Immerhin hat er vier Bücher über das Aussterben des Genitivs geschrieben aus denen sogar Brett- und Computerspiele entstanden sind.
Sein Aktionismus ist bewundernswert. Wenn sich jemand mal mit so viel Eifer um die Erhaltung der bedrohten Arten kümmern würde, Greenpeace hätte deutlich weniger zu tun.
Rechnen wir aber noch einmal zusammen: Die polnische Sprache kennt sieben Fälle. Das heißt, dass es für ein Substantiv sieben Formen im Singular und sieben im Plural gibt, was nach Adam Ries vierzehn Formen für ein Wort ergibt. Viel Spaß beim Auswendiglernen...
Damit aber noch nicht genug der Tyrannei. Außer den sieben Fällen gibt es noch eine ganze Reihe von Besonderheiten in der Deklination und Konjugation. Achso, wenn ich „eine ganze Reihe“ sage, dann meine ich damit, dass es eigentlich mehr Sonderfälle und Ausnahmen gibt, als normal zu deklinierende bzw. konjugierende Wörter...- Nach acht Minuten darüber nachdenken, ist mir noch keines eingefallen.
Nehmen wir beispielsweise das polnische Wort für „Mann“. Mężczyzna gehört nämlich phänotypisch in die Sparte der femininen Wörter, weil es auf „a“ endet. Männer werden im Polnischen somit wie Frauen behandelt. Also jetzt bezüglich der Konjugation.
Zu erwähnen wäre außerdem noch, dass man in Polen auch die Eigennamen dekliniert. Gut, für alle Polnisch-Lernenden, dass man sich zumeist nur mit Vornamen anspricht...
Naja, und dann werden auch im Polnischen Substantive gerne durch Adjektive näher beschrieben. Diese sind dann natürlich auch wieder in den drei Geschlechtern – männlich, weiblich, sächlich- vertreten und selbstverständlich gibt es für jedes Geschlecht eine entsprechende Deklinationstabelle (Ich erinnere an die sieben Fälle.).
Mathematiker dürfen an dieser Stelle gerne nachrechnen wie viele Möglichkeiten es gibt, sich bei einer Adjektiv-Substantiv-Kombination in die grammatikalischen Brennnesseln zu setzen. Entsprechende Forschungsergebnisse können an die Adresse christina_stiller@web.de gesandt werden. Ich werde mich dann darum kümmern, dass alles an das Adam-Mickiewicz-Institut weitergeleitet wird. Das Adam-Mickiewicz-Instut ist das polnische Äquivalent zum Goethe-Institut und hat sich der Förderung und Verbreitung der polnischen Kultur im Ausland verschrieben. Die könnten sich dann also tatsächlich dafür interessieren.
Weiter geht’s mit der Tragödie zweiter Teil: Den Verben.
Wem beim oberen Abschnitt bereits Rauch durch die Ohren gequollen ist, der sollte jetzt lieber nicht weiterlesen, denn nun wird’s Martin-Scorsese-Thriller-mäßig.
Zwar kennt die polnische Sprache nur drei Zeiten, nämlich Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit, jedoch hat jedes Verb stets zwei Formen, die sogenannten Aspekte.
Es gibt jedes Verb also doppelt, einmal in vollendeter und einmal in beendeter Form. Welche Vokabel nun verwendet wird, hängt immer davon ab, was man zum Ausdruck bringen möchte.
Will man dem Gegenüber kundtun, dass man sich seinen Lieblingspullover anzieht, muss man das „unvollendete anziehen“ zakładać wählen, weil man diesen wohl öfter trägt, der Prozess des Anhabens demnach noch nicht beendet ist. Erzählt man, oder besser gesagt frau, vom Anziehen des Hochzeitskleides, ist die vollendete Form założyć zu verwenden, andernfalls kommt es zu Missverständnissen.
Ein Ausflug in die Welt der Satzstellung wird an dieser Stelle ausgelassen, um Tränen vor dem heimischen Computer zu vermeiden. Nur so viel sei verraten, die Polen sagen Dzień dobry!, wörtlich „Tag guten!“...
Wo ich das jetzt alles so schön wiederholt habe, bleibt zu hoffen, dass mein heutiger Aufnahmetest an der Sprachschule nicht allzu peinlich ausgehen wird.
Meinem Mitleid gewiss sein können sich auf jeden Fall alle englischsprachigen Kommilitonen.- Wir Deutsche haben immerhin vier Fälle und sechs Zeitformen, was dieses polnische Sprach-Drama noch in Ansätzen nachvollziehbar erscheinen lässt, aber was sollen die Briten sagen? Für die ist das höchste der Gefühle ja bereits, dass der Plural von „child“ nicht „childs“, sondern „children“ lautet.
Man kann wohl nach den obigen Ausführungen abschließend festhalten, dass die Frustrationsgrenze eines jeden Ausländers bei seinen ersten Polnischstunden ziemlich ausgedehnt wird. Die Wahrscheinlichkeit in den ersten zwei bis acht Jahren einen grammatikalisch korrekten polnischen Satz zu formulieren, ist in etwa so hoch, wie einfach so einen Koffer voll Geld geschenkt zu bekommen.
Tröstenderweise muss ich jedoch hinzufügen, dass man in Polen auch noch mit zwölf Fehlern in einem Satz ein gigantisches Lächeln vom polnischen Gegenüber erntet. Sie wissen, dass ihre Sprache mordsmäßig schwer ist und belohnen jeden Versuch, ganz nach dem olympischen Motto: Dabei sein, ist alles!

Zwischenstand

Die Fahrt war lang und hat mir auch die ein oder andere Geschichte, die es zu erzählen gibt, beschert, aber ich bin insgesamt betrachtet gut angekommen und will jetzt erstmal was zum tagesaktuellen Geschehen berichten: Einstufungstest an der Sprachschule. Deswegen folgt nun eine Einleitung in die griechische Tragödie der polnischen Sprache.

Dienstag, 22. Februar 2011

Und Tschüss...

So, Freunde und Liebende, ich verabschiede mich. Meine Expedition zu den Polen beginnt. Ich werde missionarische Arbeit leisten.
Stay tuned! Wir sehen uns im Sommer.